Andrew Root: The Congregation in a Secular Age
Andrew Root: The Congregation in a Secular Age. Keeping Sacred Time against the Speed of Modern Life, Grand Rapids: Baker, 2021, Pb., xiv+268 S., € 25,–, ISBN 978-1-5409-6394-9
Beim vorliegenden Band handelt es sich um den letzten Teil von Andrew Roots Ministry in a Secular Age-Trilogie (vgl. Judith Hildebrandts Rezension zu Teil 1). Als einer der profiliertesten Praktischen Theologen Nordamerikas setzt Root seinen anhaltenden Dialog mit Charles Taylor fort, dessen Kartografie des säkularen Zeitalters auch hier den Rahmen seiner kulturellen und ekklesiologischen Reflexionen bildet. Dabei verbindet der Vf. eine kulturkritische Analyse moderner Zeitstrukturen mit einem eindringlichen Manifest gegen einen ungezügelten Innovations- und Veränderungsdrang im kirchlichen Kontext.
Die Studie nimmt ihren Ausgangspunkt bei der grundlegenden Wahrnehmung einer in vielen kirchlichen Gemeinschaften vorherrschenden kollektiven Depression (Kap. 1–4, 3–55). Diese führt der Vf. im Kern auf die überfordernde Geschwindigkeit des spätmodernen Lebens zurück. Die stärker theologisch konturierte Zeitstruktur früherer Epochen („sacred time“) sei inzwischen durch säkulare Zeitstrukturen der Kategorie „schneller – höher – weiter“ („secular time“) abgelöst oder zumindest überlagert worden. Mit der daraus resultierenden sozialen Beschleunigung Schritt zu halten, scheine nun beinahe unmerklich zum Endziel kirchlicher Existenz geworden zu sein. Dies wiederum führe beinahe zwangsläufig zu einem ekklesialen Erschöpfungszustand, den Root im Anschluss an den franz. Soziologen Alain Ehrenberg als la fatigue d´être l´eglise bezeichnet: „The church enters, or nears, a state of depression because it is trying to run fast without a vision that calls the congregation beyond its concern for itself (37).“
Um den spezifischen Herausforderungen von Gemeinden im säkularen Zeitalter differenzierter auf die Spur zu kommen, zieht Root im zweiten Teil den Jenaer Soziologen Hartmut Rosa als Gesprächspartner hinzu (Kap. 5–11, 57–147). Dieser hat in seiner weitgreifenden Gesellschaftstheorie die wesentlichen Entwicklungen und Problemlagen der (Spät-)Moderne bekanntermaßen mit dem Begriff der „Beschleunigung“ zu erfassen versucht. Im Rückgriff auf Rosa gelingt es Root mit überzeugender diagnostischer Präzision die massiven Auswirkungen akzelerierter Zeitstrukturen auf die Lokalgemeinde theologisch zu reflektieren und im Zusammenhang mit der eingangs festgestellten kirchlichen Niedergeschlagenheit zu problematisieren. Dabei gibt er mit Nachdruck zu bedenken, dass die scheinbar plausiblen (und häufig unkritisch vorgetragenen) Wachstums- und Multiplikationsnarrative sowie die vehementen Rufe nach kirchlicher Innovation, Entrepreneurship und mehr gesellschaftlicher Relevanz nicht vorschnell als „ekklesiale Heilswege“ betrachtet werden sollten. Allzu leicht bestätige man dadurch den (von Taylor so genannten) „immanenten Rahmen“ der Umgebungskultur und trage bewusst oder unbewusst zur Verstärkung problematischer Beschleunigungsmuster bei.
Im dritten Teil (Kap. 12–17, 149–262) entwirft der Vf. erste Antwortperspektiven auf die letztlich als „Entfremdung“ definierte ekklesiale fatigue: „To avoid (…) alienation, religion must be freed from being another element in the acceleration of a person`s or family`s dynamic stabilization and instead be returned to an orientation to encounter a living world and the living God in the world (188).“ Diese zunächst noch unscharfe Handlungsorientierung wird unter Bezugnahme auf Hartmut Rosas Resonanzbegriff näher entfaltet, wobei der Vf. „Resonanz“ als „journey of seeking a narrative of connection to the world [,Weltbeziehung‘] and those in the world who call out to us“ (216) bestimmt. Roots resonanztheoretische Erkundungen erweisen sich durchweg als an-, stellenweise sogar als aufregend. Gerade deshalb ergeben sich aber auch Rückfragen: Sind Resonanz und Relevanz bzw. resonante Narrative der Transformation und Prozesse der Innovation im Rahmen des Gemeindeaufbaus tatsächlich nur in starkem Gegensatz zu denken? Lässt sich die bisweilen vage Kategorie der „Resonanz“ aus oikodomischer Perspektive noch präziser fassen? Einige dieser Anfragen antizipiert Root bereits im Vorwort, wo er sowohl die mitunter fehlende Konkretion und Praxisnähe („there is no bullet-point list of what your congregation can do“) als auch die ekklesiologische Unbestimmtheit seines Entwurfs einräumt und als Zukunftsprojekt eine „full-blown ecclesiology“ ankündigt – „in discourse with Rosa`s conception of resonance“ (xiii). So scheinen sich Roots praktisch-theologische Deutungen zu einer beeindruckenden Großerzählung auszuwachsen, die gerade auch für den deutschen Kontext in vielfacher Hinsicht wertvolle Perspektiven beisteuert und der intensiven Auseinandersetzung wert ist.
Prof. Dr. Philipp Bartholomä, Professor für Praktische Theologie an der FTH Gießen